Meet me in Ireland – Kapitel 12

Ronan zog die Flügel der Werkstatttore auf und das Sonnenlicht flutete hinein. Goldene Strahlen tanzten auf den alten Werkbänken.

„Das hier wird euer Arbeitsplatz für die nächsten Wochen sein”, sagte Ronan und konnte den Stolz in seiner Stimme nicht ganz unterdrücken. Er liebte diese Werkstatt, hatte sie schon immer geliebt. Schon damals, als er mit Patrick hier gearbeitet hatte, doch jetzt irgendwie noch ein bisschen mehr. 

Sie strahlte wieder im alten Glanz, und auch wenn hier keine echten Möbel mehr gebaut wurden und Patrick fehlte, so war das jedoch etwas ganz Besonderes. Es war genau der richtige Ort für die Jugendlichen, das konnte er spüren.

Die sechs traten ein und schauten sich um. Sie wirkten nicht sehr beeindruckt, aber Ronan wusste auch aus eigener Erfahrung, dass das zum Teil nur eine Maske war, die sie zur Schau stellten, damit niemand merkte, wie es in ihrem Inneren eigentlich aussah. Er hatte auch eine solche Maske getragen und sie vermutlich erst mit Anfang zwanzig abgelegt. Manchmal trug er sie heute noch.

Vorsichtig warf er einen Blick zu Orla hinüber, die über das ganze Gesicht strahlte. Das war die Reaktion, die er sich erhofft hatte. 

Sie war genauso stolz auf die Werkstatt, und sie konnte es auch sein. In den vergangenen Tagen hatten sie zusammen hier viel geschafft. Anscheinend nahm sie ihm das mit dem Fast-Kuss gestern Abend nicht übel. Er hätte sich nicht dazu hinreißen lassen sollen. Es wäre dumm, wenn sie beide was miteinander anfingen. Und trotzdem, jetzt hatte er schon zweimal sie fast geküsst. 

Sie hatte sich so gut in seinen Armen angefühlt und er hatte sie nur zögernd losgelassen. Die halbe Nacht hatte er über sie nachgedacht und jetzt kam er nicht umhin, sie immer wieder anzuschauen. Anscheinend genoss sie diesen Moment genau wie er, und das war schön.

Ronan wies auf die sechs Arbeitsplätze, die sie eingerichtet hatten. Er hatte erst überlegt, dass jeder sich einen aussuchen durfte, aber er ahnte, dass das nur in Streit enden würde, also wies er jedem einen zu. 

Diarmuid hatte er in seine Nähe geholt. Der Junge erinnerte ihn an sich selbst, und er wusste, dass er ein genaues Auge auf ihn haben musste. Er war ein bisschen anders als die anderen, etwas dunkler, etwas verwegener, etwas trotziger und vielleicht auch etwas verletzter. Auch das war etwas, was er gut verstehen konnte. 

Gleichzeitig sagte ihm der Blick des Jungen, dass er ein Gefühl für die Werkstatt hatte oder für das Holz. Noch konnte er es nicht genau benennen, aber er würde es herausfinden. Denn eines wusste er aus seiner langjährigen Erfahrung: In einer Werkstatt und bei der Arbeit blieb nie lange geheim, wie ein Mensch wirklich war. 

Das hatte Ronan schon oft in seiner Arbeit festgestellt, denn er hatte mit vielen verschiedenen Menschen zusammengearbeitet, vor allen Dingen, als er die Yachten ausgebaut hatte. Bei der Arbeit offenbarte sich der Charakter eines Menschen immer sehr schnell, egal wie die aussah.

„Schade”, sagte Benny. „Ich hatte gehofft, dass hier wohl noch Blut zu sehen ist oder so.”

Orla verdrehte die Augen. „Natürlich nicht. Glaubst du wirklich, dass wir euch dann hier reingelassen hätten?”

Ronan war froh, dass Brendan alles am Tag zuvor so gut sauber gemacht hatte, aber er konnte verstehen, dass die Jungen auf solche Details aus waren. Vermutlich war das bei Jugendlichen in dem Alter völlig normal.

Er verschränkte die Arme und schaute die Jugendlichen einem nach dem anderen an. „Shane geht es wieder gut, er hat die Operation gut überstanden und seine Hand wird vollständig heilen. Das ist das Wichtigste. Aber ihr solltet euch auch ein Beispiel daran nehmen, so leid es mir auch tut, denn in einer Werkstatt hat Sicherheit oberste Priorität. Ich werde sehr genau darauf achten, dass ihr euch sicher verhaltet und dass ihr euch auch so verhaltet, dass die anderen nicht  gefährdet sind. Wenn ich irgendjemanden sehe, der sich einen Spaß erlaubt, der mit Sicherheit zu tun hat, dann wird er diese Werkstatt nicht mehr betreten.”

Nessa riss die Augen auf, genau wie Aodhan. Die Stille, die folgte, war schwer wie Blei. Auch den anderen konnte er ansehen, dass sie ihm jedes Wort glaubten. Das war gut so, denn tatsächlich verstand er damit keinen Spaß.

„Ich werde euch noch einmal eine Sicherheitseinführung geben, auch wenn es euch langweilig vorkommt, aber ich möchte, dass ihr alle mit euren beiden Händen und allen anderen Gliedmaßen intakt wieder rausgeht aus dem Projekt und dass ihr gleichzeitig in der Lage seid, etwas mit Stolz zu zeigen. Wir werden Objekte bauen, die eine Mischung aus Kunst und praktikablen Dingen sind. Ihr könnt euch jetzt schon überlegen, was ihr bauen wollt, müsst euch aber noch nicht sofort entscheiden.”

„Was könnte das sein?”, fragte Skye.

„Du könntest zum Beispiel einen Stuhl bauen.”

„Der kracht doch bestimmt zusammen”, sagte Benny lachend.

„Deiner vielleicht”, sagte Ronan. „Ihr trau ich zu, dass sie einen stabilen baut.”

„Und was noch?”, fragte Nessa.

„Ihr könntet eine Kiste bauen“, schlug Orla vor.

„Kiste? Langweilig!” Benny hatte anscheinend gegen alles etwas zu sagen.

Ronan schaute ihn durchdringend an. „Und sie mit Schnitzereien verzieren. Das dürfen aber nur die, denen ich zutraue, mit Schnitzmessern umzugehen. Die sind besonders scharf.”

Er sah Diarmuids Augen aufleuchten und nahm das zur Kenntnis. Anscheinend mochte er Schnitzereien, oder er mochte Messer. Das würde er noch herausfinden.

„Ihr könntet auch ein Vogelhaus bauen oder einen Bilderrahmen. Das überlasse ich euch. Und wir haben noch etwas Besonderes für euch. Es wird demnächst eine Ausstellung im Craftsmen Quarter geben. Dort werden eure Sachen ausgestellt werden.“ Auf diese Idee hatte ihn Finn vor ein paar Tagen bei ihrem Sonntagsbesuch bei ihrem alten Mentor gebracht. Old Mike organisierte diese Ausstellungen seit Jahren um das Kunsthandwerk zu fördern und es wäre eine perfekte Gelegenheit für die Jugendlichen auf ein Ziel hinzuarbeiten.

Orlas Augen begannen zu leuchten und er musste lächeln. Ihr hatte er davon auch noch nichts erzählt, aber anscheinend mochte sie die Idee.

„Bei dem Fest werden viele Menschen aus unserer Kleinstadt und der Umgebung kommen und sich anschauen, was ihr gemacht habt.” Das war eine Untertreibung. Viele Leute kamen von sehr weit her, um alles anzuschauen.

„Werden dort nur unsere Sachen sein?”, fragte Caius.

Ronan schüttelte den Kopf. „Nein, es werden noch mehr Künstler aus der Region ausstellen. Einige Handwerker, aber auch Maler, Töpfer, Korbflechter und so weiter. Es ist ein sehr schönes Fest und hat eine lange Tradition, und ich würde mich freuen, wenn ihr das zur Gelegenheit nehmt zu zeigen, was ihr hier gelernt habt.”

„Wann ist das?”, fragte eines der Mädchen.

„In drei Wochen.”

„Das schaff ich locker”, sagte Benny und rieb sich die Hände.

Ronan war sich da nicht so sicher, aber er sagte es nicht. Er wollte den Jungen nicht gleich herausfordern, was dazu führen konnte, dass er nachher schludrig arbeitete. Aber Benny war jemand, den er im Auge behalten würde.

Ronan erklärte noch einmal alle Sicherheitsvorkehrungen in der Werkstatt. Manchmal musste er einen der Jugendlichen ermahnen, dass er gut zuhörte, und als zwei der Jungen sich kabbelten, erklärte Orla, dass dies ihre letzte Verwarnung war, bevor sie am Abend für alle kochen die mussten. 

Danach herrschte Stille. Er mochte es, dass sie so klar war in ihren Ansagen. Er ahnte, dass sie oft mit schwierigen Menschen schon zusammengearbeitet hatte.

Schließlich holte er mehrere Stücke Holz aus dem Lager und ließ die Jugendlichen die Stücke einspannen. Dann gab er ihnen verschiedene Werkzeuge und bat sie, das Holz zu bearbeiten.

„Und wie?”, fragte Diarmuid.

„Denkt euch was aus. Ich will sehen, wo es euch hinzieht, welche Werkzeuge ihr wählt. Ihr könnt damit machen, was ihr wollt, solange ihr nicht auf jemanden einschlagt”, fügte Orla hinzu, und Ronan nickte. Genau das hatte er auch gerade gedacht.

Die Jugendlichen machten sich an die Arbeit. Benny mit viel Tamtam. Er machte viel Aufhebens darum, als er ein Werkzeug auswählte. Die Mädchen waren zum Teil unsicher, und Caius sägte sein Holz sofort durch. 

Ronan beobachtete Diarmuid genau, der das Holz als Erstes wieder ausspannte und es von allen Seiten betrachtete, mit den Fingern die Maserung entlangfuhr, so, als würde er versuchen, das Holz kennenzulernen. Ronans Herz machte einen kleinen Sprung. 

Genau so machte er das auch, wenn er ein neues Stück Holz aussuchte, um damit zu arbeiten. Meistens waren die Stücke größer als diese kleinen, die er den Teilnehmern gegeben hatte. Aber er lernte es genauso kennen. Holz war für ihn lebendig, und er wollte erkennen, was darin steckte. Das konnte er nur, wenn er es mit den Fingern kennenlernte und eine Beziehung dazu aufbaute. Genau das tat Diarmuid auch. Er hatte anscheinend eine gute Intuition, was so etwas anging.

Nach einer Weile spannte er das Holz wieder ein, nahm eine Säge zur Hand und legte sie wieder weg. Dann nahm er ein Winkelmaß, doch das legte er wieder beiseite, und schließlich griff er zum Schleifpapier, doch auch das verwendete er nicht.

„Na, Diarmuid, hast du keine Idee?”, fragte Benny und grinste, während er ein Stück von seinem Holz absägte, das polternd zu Boden fiel.

Diarmuid verdrehte nur die Augen und antwortete nicht. Ronan beobachtete ihn weiter. Ihm kam es eher so vor, als ob Diarmuid zu viele Ideen hatte.

Plötzlich wandte sich der Junge zu ihm um. „Kann ich einen Bleistift haben?”, fragte er.

Ronan nickte und nahm seinen Bleistift aus der Hemdtasche, den er immer bei sich trug. Er reichte ihn Diarmuid. Er spürte, wie Orla ihn aus der anderen Ecke des Raumes, wo sie bei Aodhan stand, beobachtete. Er wechselte einen kurzen Blick mit ihr, und er sah das kleine Lächeln in ihren Augen.

Und dann malte Diarmuid ein Muster auf das glatte Holz. Es dauerte eine Weile, bis Ronan begriff, was genau der Junge da bezeichnete. Doch dann konnte er nicht anders als beeindruckt zu sein. Es war ein kunstfertiges Muster, das die Maserung des Holzes mit einbezog. Ein warmes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus. Ronan spürte, dass Diarmuid genau erfasst hatte, wie dieses Holzstück beschaffen war. Das war nicht nur ein einfaches Stück Fichte für ihn, sondern ein Lebewesen.

Benny war als Erster fertig und verkündete es natürlich lautstark. Nach und nach legten auch die anderen ihre Werkzeuge weg. Diarmuid arbeitete ganz in Ruhe weiter.

„Jetzt komm schon”, sagte Benny. „Wir wollen weitermachen.”

„Ihr könnt jetzt schon einmal anfangen die Kanten abzuschleifen“, sagte Ronan. „Jeder arbeitet in seinem Tempo.”

Es kamen ein paar Fragen, was genau das sein sollte, und Ronan beantwortete sie, während er zu den anderen Jugendlichen an ihre Plätze ging und sich anschaute, was sie bisher angefertigt hatten. Nach über einer Stunde war auch Diarmuid mit seinen Zeichnungen fertig, doch er versteckte das Holz, bevor Ronan es sich anschauen konnte. Er ließ ihn. Er wusste, dass Diarmuid das tat, weil er noch nicht ganz zufrieden war oder weil er noch nicht komplett fertig war.

Eine Weile arbeitete er mit den Jugendlichen noch am Abschleifen und dann machten sie eine Pause. Erstaunt stellte er fest, dass es schon Zeit fürs Mittagessen war. Die Zeit war wie im Flug vergangen.

Orla lächelte. „Ich habe einen Korb mit Sandwiches dabei. Wie wärs, wenn wir uns draußen auf die Mauer setzen und sie essen?”

„Gibts nichts anderes?”, fragte Benny.

Orla schüttelte den Kopf. „Nein, ihr müsst mit den Sandwiches vorlieb nehmen. Heute Abend kochen wir wieder.”

Ronan sah, wie Skyes Augen aufleuchteten. Sie hatte gestern mit viel Appetit gegessen und sich zweimal nachgenommen. Anscheinend bekam sie selten so etwas Gutes zu essen wie den Auflauf von Orla gestern, und irgendwie machte es ihn zufrieden, dass die Kinder alle hier etwas hatten, was sie mochten. Zumindest hoffte er das.

Orla drückte Diarmuid den Korb in die Hand. „Geht schon mal vor. Wir kommen gleich nach.”

Diarmuid zog ganz kurz die Augenbrauen hoch, und Ronan begriff, dass er auf ihre Begegnung gestern Abend in der Küche anspielte. Vielleicht sollte er dem Jungen noch mal erklären, dass da nichts gewesen war. Aber dann war es auch wieder so, dass es Diarmuid überhaupt nichts anging.

Sie schlenderten raus, und Orla drehte sich zu ihm um. „Du machst das echt gut”, sagte sie. Ihre Augen strahlten.

Ronan schaute sich um, und plötzlich fiel ihm auf, dass er vielleicht etwas übers Ziel hinausgeschossen war. „Es tut mir leid”, sagte er. „Ich hab dich überhaupt nicht zu Wort kommen lassen. Eigentlich bist du ja die Projektleiterin.”

Orla lachte. „Du bist aber viel besser geeignet, und sie hören auf dich. Also ist alles perfekt. Ich glaube, wenn ich sie angeleitet hätte, wären wir nicht einmal halb so weit.” Sie blickte sich um. „Ich bin echt froh, dass du das gemacht hast. Ich hätte sie nie so weit gebracht. Und das mit dem Fest ist ja großartig! Was genau wird da gemacht?“

Ronan runzelte die Stirn. „Hat Marion dir noch gar nichts darüber erzählt?“

Orla schüttelte den Kopf. „Nein. Erzähl mir mehr.“

Ronan rieb über den Nacken. „Wir müssen es auch nicht machen. Es war nur eine spontane Idee von Finn. Jedes Jahr macht Mike eine Ausstellung im Craftsmen Quarter. Das hat er schon früher gemacht, selbst bevor es das Gebäude in der Form gab, und es kommen mittlerweile so viele aus der ganzen Region zusammen und zeigen, was sie in dem Jahr gearbeitet haben. Es ist wie ein kleiner Markt, und ich könnte mir vorstellen, dass die Jugendlichen dort auch einen Stand haben, wo sie ihre Projekte ausstellen.”

„Du meinst, sie sollen die dort verkaufen?”

„Nein, man muss nichts verkaufen. Man kann auch einfach nur ausstellen. Wie eine Kunstausstellung.”

Orla nickte langsam und ging dann zu Diarmuids Platz. „Apropos Kunst, hast du gesehen, was Diarmuid gemacht hat? Das ist wirklich herausragend. Ich wusste gar nicht, dass er so gut zeichnen kann.”

„Er versteht wirklich was vom Holz”, sagte Ronan.

„Genau wie du.” Orla lächelte ihn warm an. „Ich glaube, du kannst auch mit Holz sprechen, oder?”

Ronan hielt den Atem an und wandte sich ab. Das Kompliment war so unerwartet und schnell gekommen, dass er sich nicht hatte vorbereiten könne. Er atmete tief durch und stellte fest, dass es ihn sehr berührt hatte. 

Schon oft war er für seine Arbeit gelobt worden und hatte viel Geld damit verdient. Aber dass jemand ihm sagte, dass er mit Holz sprechen konnte, so wie er es fühlte, das war noch nie vorgekommen. Und irgendwie war es etwas Besonderes, dass das von Orla kam.

„Möglich”, sagte er und überlegte, ob er noch etwas sagen sollte. Doch er wusste nicht was. Also wies er auf die Tür. „Wir sollten vielleicht lieber rausgehen. Sonst bekommen wir nichts mehr zu essen ab.”

Orla legte ihm eine Hand auf den Arm. Die Berührung schickte eine Welle der Wärme durch seinen Körper. „Ich finde es schön, dass du das kannst.“ Sie lächelte. „Du machst das wirklich gut und wir hätten es nicht besser treffen können. Ich bin wirklich gespannt, was in den nächsten Wochen hier in der Werkstatt entsteht.”

Ronan wusste, dass sie die Projekte der Jugendlichen meinte, und trotzdem fragte er sich auch, was hier noch alles entstehen würde. Vor allem zwischen ihnen.

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